Indische Manager prädestiniert für die VUCA Welt
Indische Manager prädestiniert für die VUCA Welt
Wer in Indien aufwächst, ist bestens gerüstet für Managementaufgaben in Zeiten von wachsender Unsicherheit, steter Ungewissheit und immer größerer Komplexität und Mehrdeutigkeit. Kurz alles, was typisch ist für die sogenannte VUCA-Welt.
Zu diesem Ergebnis kommen mehrere Studien. Sie untersuchten, warum es in der letzten Zeit überdurchschnittlich viele indische Manager in die Top-Positionen von Weltkonzernen schaffen.
Satya Nadella zum Beispiel als CEO von Microsoft oder Google-Chef Sundar Pichai, Shantanu Narayen von Adobe, Ajay Banga von MasterCard, Padmasree Warrior bei NIO, Ivan Menezes von Diageo, Indra Nooyi von PepsiCo oder auch Gita Gopinath, die Chefökonomin des Internationalen Währungsfonds. Sie alle steuern ihre Konzerne durch die VUCA Welt.
Chancen erkennen und sofort nutzen
Keine bzw. keiner von ihnen kam mit dem sprichwörtlichen „goldenen Löffel im Mund“ zur Welt. Was ihren Weg an die Spitze jedoch begleitete, sind unter anderem folgende Eigenschaften: sie nutzten die Chancen, die ihnen ihre Eltern durch gute Erziehung und Ausbildung boten. Dabei bewährten sie sich im extrem harten Wettbewerb, den ihnen Schule und Studium abverlangten.
Von nichts kommt nichts, so das Motto in Indien. Mit 40 Mitschülern in einer Klasse, die Fotos der „Toppers“ am Schuljahresende prominent veröffentlicht in der Tageszeitung, das Schulgeld zum Teil mühselig vom knappen Familieneinkommen abgespart, die anstrengenden Vorbereitungsexamen auf die renommierten Hochschulen, um überhaupt einen der begehrten Studienplätze zu bekommen, 14-16 Stunden lernen am Tag inklusive. All das stählt zweifellos Disziplin und Ausdauer.
Marshmallow jetzt oder später?
Außerdem lernten die künftigen Manager früh, kurzfristige Vergnügungen um eines höheren Zieles außer Acht zu lassen. Keine Frage, sie hätten beim Marshmallow-Test, einem der bekanntesten Experimente der Psychologie überhaupt, sicherlich auf die schnelle Bedürfnisbefriedigung verzichtet und sich für den Belohnungsaufschub entschieden.
Okay, diese Muster gibt es in anderen Ländern auch. Selbst ich lernte am Ende meiner Kindergartenzeit in den 1970er Jahren einen Reim, der uns auf harte Arbeit und Einsatz vorbereitete: „Wer dann fleißig lernen tut, dem geht es später einmal gut!“
All das ist zweifellos wichtig, fanden die Forscher heraus. Es gibt aber noch eine ganz besondere Zutat für das Erfolgsrezept indischer Manager.
VUCA ist in Indien ein Dauerzustand
Sie sind es wie kaum jemand anders gewohnt, in einer ständig sich ändernden Welt mit zig Variablen und Unsicherheiten aufzuwachsen. Sich haben gelernt, damit positiv umzugehen und sich nicht im Jammern zu verbeißen. Sie sind groß geworden im Nicht-Perfekten, um kaum Planbaren.
Stundenlanger Stromausfall auch bei 35 Grad Hitze, Wasser, das – wenn überhaupt – nur zu bestimmten Stunden am Dorfbrunnen läuft und dann nach Hause geschleppt werden muss, unangekündigte Streiks, die einen Teil der Infrastruktur lahm legen, verspätete Züge, überfüllte Busse, Kühe auf der Autobahn, Menschen in Uniform, die gerade heute mal die Hand aufhalten, weil man ohne Helm Motorrad gefahren ist, obwohl es wochenlang vorher kein Problem war, die Entwertung einiger größerer Geldscheine über Nacht ohne jegliche Vorankündigung, die Großfamilie als einziges Sicherheitsnetz, das herhalten muss, wenn jemand krank wird und eine teure Behandlung braucht, null Sozialversicherungen usw.
Unaufgeregt kreativ – Jammern hilft nicht
Alles, was wir für selbstverständlich erachten, ist nicht unbedingt Gang und Gäbe in Indien. Wo wir uns aufregen, wenn die Bahn 10 Minuten verspätet ist, lässt Indien eher kalt. Meckern wegen so einer Kleinigkeit ist Energieverschwendung. Wenn ich nichts machen kann, dann muss ich mich einfach damit kreativ arrangieren. Ich muss schauen, wie ich mit den Unwägbarkeiten fertig werde. Navigieren in Unsicherheit und Ungewissheit ist die tägliche Herausforderung und damit das fast Normale.
Wer so sozialisiert ist, bringt Kompetenzen mit, die eine wertvolle Qualifikation darstellen, um in den volatilen und unsicheren Zeiten der Businesswelt heute zurecht zu kommen. Da wird man im Alltag erfinderisch.
Von Kindesbeinen an spezielle Kompetenzen für VUCA erlernt
Das fängt bei Kleinigkeiten an. Einer meiner indischen Freunde ist begeisterter Ski-Langläufer. Für Indien ziemlich ungewöhnlich. Im Sommer trainiert er nach seiner Arbeit als Arzt auf Inline-Skatern und Stecken in einem kleinen Stadtpark. Ungewöhnlich, aber auch so kann man sich fit halten. Egal, was die Leute denken. Im Winter gönnt er sich Ski-Urlaub und nimmt an internationalen Wettbewerben teil.
Als ich ihn fragte, wie er denn seine Skier im Flieger transportiert, lachte er und sagte stolz: „In einem Plastikrohr, so wie man es für einen Regenablauf nimmt. Das habe ich für ein paar Rupien im Basar gekauft und es tut wunderbar seinen Dienst. Wer braucht schon eine teure Tasche für die Skier“.
Das ist diese Gabe, schnelle zufriedenstellende Lösungen zu finden. Mit dem zurechtzukommen, was da ist. Natürlich kann er sich eine Tasche kaufen. Es tut aber auch das Plastikrohr aus dem Basar. Das ist Ideenreichtum, Lösungsorientierung, quickfixing und ein Geniestreich der Anpassungsfähigkeit.
Indische Manager bringen genau dieses größere Maß an Flexibilität und Anpassungsfähigkeit mit. Das hilft ihnen, gut mit der spürbar zunehmenden Unsicherheit zurecht zu kommen. Sie sind in einem Umfeld aufgewachsen, wo kaum etwas zuverlässig planbar ist. In ihrer DNA hat sich eher die Fertigkeit eingeprägt, aus der Not eine Tugend zu machen. Chancen schnell zu erkennen und sie sofort zu ergreifen.
Manövrieren inmitten des Ungewissen macht erfinderisch
Die meisten Inder ziehen die Augenbrauen hoch und staunen, wofür und wogegen wir in Deutschland Versicherungen kaufen können. Sie leben mit Unsicherheit und müssen mit mehr Risiko zurechtkommen.
Wer damit sozialisiert ist, dass es nur die Ungewissheit sicher ist, ist gut vorbereitet auf die VUCA-Welt, die uns strukturiert step by step Planenden so manchen Strich durch die Rechnung macht.
„You have to adjust!“, wird indischen Kindern von klein an beigebracht. Gerade auch dann, wenn es ums Heiraten geht. Vom Mädchen wird selbstverständlich erwartet, sich der Familie anzupassen, in die es hinein heiratet. Das heißt zum Beispiel so zu kochen, wie es in diesem Haushalt üblich ist, Ansichten und Denkmuster anzunehmen, ohne darüber zu debattieren.
Pass dich an. Das gilt auch im Berufsleben. Mach es ganz einfach so, wie es an dieser Stelle von dir erwartet wird. Wenn das Unternehmen eher klassisch indisch beziehungsorientiert aufgestellt ist, dann verhalte dich entsprechend. Arbeitest Du für ein Unternehmen, das Ziele setzt und Prozesse zur Zielerreichung genau definiert, dann mach es eben so. Ohne Murren, ohne Getue. „You have to adjust!“
Change ist völlig normal in Indien
Diese smarte Anpassungsfähigkeit kommt Indien heute in einer Welt voller Unsicherheit, zunehmender Unberechenbarkeit und der immer schnelleren Taktung von Change, in der es kein Verschnaufen gibt – denn nach dem Change ist vor dem Change – zu Gute.
Diese Anpassungsfähigkeit ist ein Stück indischer Gelassenheit und zur Fähigkeit, mit mehr Risiko umzugehen. Sie gehört zur ständigen Lernbereitschaft, sich was Neues zu erarbeiten und was Altes, das nicht mehr trägt, ohne Bitterkeit gehen zu lassen. Ein aussitzendes, Change-resistentes „Das haben wir schon immer so gemacht!“ ist in Indien eher weniger zu hören.
Meister im Improvisieren
The Show must go on! Im Improvisationstheater ist Indien Meister. Das prägt indische Manager und hat sie von Natur aus mit einer guten Portion mehr Kreativität, Pragmatismus und Optimismus ausgestattet. Erkenne die Gelegenheiten, die sich bieten. Kein Gejammer! Konzentrier Dich vielmehr auf das, was möglich ist. Nutze die Chancen und bring Dich da ein, wo Du etwas gestalten kannst. Das sind nicht die schlechtesten Eigenschaften, um für die VUCA-Welt gerüstet zu sein.
Mein Lese-Tipp für Sie: R. Gopalakrishnan und Ranjan Banerjee, The made-in-India manager, Gurugram 2018.