Besuch im hinduistischen Tempel: Was muss ich tun?
Besuch im hinduistischen Tempel: Was muss ich tun?
Im Laufe der Geschäftsanbahnung und Vertragsverhandlungen zeigt Ihnen Ihr Verhandlungspartner sicherlich die Sehenswürdigkeiten der Umgebung. Dazu gehören ganz bestimmt auch hinduistische Tempel. Sich korrekt zu verhalten, ist Teil interkultureller Kompetenz Indien.
Gerne stelle ich Ihnen ein paar Tipps aus meinem interkulturellen Training vor. So fällt es Ihnen bestimmt leichter, sich angemessen zu verhalten.
Tempel sind seit alters her Orte, an denen das Leben pulsiert, Handel getrieben wird und die Geschäfte mit dem göttlichen Segen nicht zu kurz kommen. Begleiten Sie Ihren Geschäftspartner neugierig. Gehen Sie staunend mit. Lassen Sie sich einfach von der bunten Menge der Pilger mitreißen.
Barfuß vor den Göttern
Beim Hineingehen in den Tempel müssen Sie die Schuhe ausziehen (es gibt Schuhdepots) und barfuß oder auf Socken das Heiligtum betreten. Dieses Zeichen der Ehrfurcht erinnert daran, dass der Ort, an dem Sie sich befinden, heilig ist. Hier ist der Platz ist, an dem Sie mit Gott in Berührung kommen.
Ins Zentrum kommen und Kraft tanken
Größere Tempel haben in der Regel mehrere Vorhallen, durch die hindurch man sich dem Zentrum nähert. Ist man schließlich beim Allerheiligsten angelangt, d.h. dem Symbol der Gottheit, umrundet man dieses im Uhrzeigersinn (so wie sich die Erde um die Sonne dreht und dabei ihre Kraft auftankt), um dabei Anteil zu haben an der Kraft, die von Gott ausgeht.
Das Göttliche gibt Lebensenergie und spendet Segen. Je näher man dem Gottesbild ist, desto mehr partizipiert man an diesem Kraftzentrum.
Deshalb drängen die Gläubigen, um dem Göttlichen möglichst nahe zu sein. Drängeln ist üblich. Achtsamkeit im Angesicht Gottes meist Fehlanzeige. Schließlich will man schnell den Segen bekommen.
Zu gewissen Zeiten wird ein unverstellter Blick auf das Gottesbild gewährt. Der Priester zieht dazu den Vorhang weg und zeigt die Gottheit. Dieses Zeigen (darshan) ist der Höhepunkt des Tempelbesuchs.
Es ist ein heiliger Moment, in dem der Mensch das Göttliche schauen darf, sich aber auch gewiss ist, dass Gott ihn anschaut.
Gott schauen
Nach dem Schauen, das aufgrund des Ansturms von Betenden meist nur ein sehr kurzer Augenblick ist, gehen die Gläubigen zum Priester, bringen Gaben (z.B. Kokosnuss, Blumen, Geld) und werden gesegnet. Dazu spricht der Priester ein Gebet, hält dem Gläubigen die Flamme einer Öllampe hin, damit er mit beiden Händen das Licht annimmt und symbolisch zu sich bringt in der Gewissheit, dass das Göttliche Licht ins Dunkel bringt und das Böse vertreibt.
Feuer und Wasser
Außerdem zeichnet der Priester mit Sandelholzpaste einen Punkt auf die Stirn des Gläubigen (tilak bzw. tika) und bietet als Symbol der Reinheit und der Abwaschung der Sünden Wasser an. Sie können davon einen Mini-Schluck trinken, wenn Sie keine hygienischen Bedenken haben, oder ihre Lippen damit leicht befeuchten oder Sie nehmen das Wasser mit ihren Händen auf und benetzen sich damit Ihren Kopf, indem Sie es über Ihre Haare streichen.
Prasad – Von Gottes Gaben kosten
Danach bekommt man prasad geschenkt, eine gesegnete Speise (Reiskügelchen, Kokosschnipsel etc.), die man entweder gleich essen kann oder mit nach Hause nimmt und sie mit seiner Familie und den Freuden teilt. Niemals aber ist diese Gabe wegzuwerfen. Wenn Sie die heilige Gabe nicht essen möchten, dann schenken Sie weiter, was Sie bekommen haben. Ihr Geschäftspartner, Kollegen und Kolleginnen oder der Chauffeur freuen sich.
Keine Angst, durch die Teilnahme an einer gottesdienstlichen Feier im hinduistischen Tempel werden Sie kein Hindu. Hindu ist man von Geburt an. Ein Übertritt zum Hinduismus ist nicht möglich.
Puja – der Gottesdienst
Da der Hinduismus an sich ist eine tolerante Religion ist, die alle anderen Religionen würdigt und die Vielzahl der Religionen als Ausdruck des einen Göttlichen erkennt, das auf verschiedene Weise verehrt wird, heißt man Nicht-Hindus im Tempel gerne willkommen und lässt sie an der gottesdienstlichen Feier (puja) teilnehmen.
Machen Sie einfach, was die anderen auch machen. Glocken zu Beginn läuten, Singen, andächtig stehen, sich respektvoll benehmen. Keine Angst: Nach spätestens einer halben Stunde ist die religiöse Feier vorbei.
Nun kennen Sie die wichtigsten Symbole und Gesten, die Sie beim Tempelbesuch erleben werden. Auch wenn Ihnen das meiste davon fremd ist, werden sie ganz schnell durch Beobachten lernen. Ihr Geschäftspartner wird es sich zur Aufgabe machen, Sie zu führen und freut sich, wenn Sie sein Bemühen schätzen und mit Nachfragen würdigen. Normalerweise wird er Ihnen vorausgehen und Sie einladen, alles genauso zu machen wie er.
Spenden willkommen
Gut ist es, wenn Sie etwas Kleingeld, z.B. einen 50 Rs-Schein, schon vor dem Tempelbesuch in die Hosentasche stecken, damit Sie diese Spende zur Hand haben, wenn Sie der Priester segnet. Legen Sie Ihre Spende auf das Tablett, das Ihnen der Priester zusammen mit dem Licht, dem Wasser und der Farbe bzw. Sandelholzpaste hinhält. Diese Spende entlohnt den Priester (Brahmanen) und dient dem Tempel insgesamt als Unterhalt. Viele Tempel verteilen jeden Tag Essen an die Armen.
Herzliche Grüße von Dr. Simone Rappel.