Eine neue Sicht gewinnen: interkulturelle Kompetenz für Indien aufbauen
Eine neue Sicht gewinnen: interkulturelle Kompetenz für Indien aufbauen
Indien: Vielfältig anders
In den zwei Tagen, in denen wir uns interkulturell mit Indien beschäftigen, bekomme ich immer wieder interessante Requisiten in die Finger: Zeitungsausschnitte mit Hochzeitsannoncen, Werbeanzeigen mit Wohnungseinrichtungen und Vieles mehr.
So kriege ich einen kleinen Einblick in eine Welt, die fast 7000 Kilometer entfernt ist. Wow, da weitet sich mein Blick. Eine ganz neue Perspektive tut sich auf. Ich merke, ich muss interkulturell fitter werden und Kompetenz aufbauen.
Indien ist ein riesiges Land, das sich in seiner Breite von London bis Moskau erstreckt, und in seiner Länge von Oslo bis Tunis! Dort gibt es mehr Dollar-Millionäre als in Deutschland, erfahre ich. Und 300 bis 600 Millionen der insgesamt fast 1,4 Milliarden (!) Menschen in Indien gehören zur Mittelschicht. Dann werden über 100 Sprachen und Dialekte gesprochen… Was für eine Vielfalt! Doch was bedeutet das neben spannenden Länderkenntnissen für meinen Arbeitsalltag?
Interkulturelle Herausforderungen meistern
Ob inhouse mit neuen KollegInnen aus Indien oder vor Ort in den turbulenten Metropolen: es warten unzählige Herausforderungen auf uns. Sie treten normalerweise dann auf, wenn die Kommunikation nicht wie erwartet funktioniert, z.B. aufgrund unterschiedlicher Kommunikationsstile oder -rollen: Die führen dann oft zu Missverständnissen und Effizienzverlusten. Shit happens: auch interkulturell!
Das interkulturelle Training setzt hier an zwei Enden an. Zum einen geht es darum erst einmal Arbeitskontexte und Leistungsforderungen zu verstehen und wie diese durch kulturelle Unterschiede beeinflusst werden. Zum anderen werden verschiedene Denkweisen und Einstellungen – sowohl die eigenen als auch die der indischen KollegInnen – reflektiert und formuliert. Wir sprechen darüber, wie eine entsprechende Führung die Team-Performance steigern kann. Und wie wir uns offen und konstruktiv interkulturellen Herausforderungen stellen können.
Movie-Time: Lernen interkulturell mit „Outsourced“
Wozu das Ganze? Interkulturell arbeitende Teams können ihr Potential und ihre Effizienz verlieren. Beiträge und Interaktionen der verschiedenen Kolleg_innen müssen durch harte Arbeit koordiniert werden. Das ist schade und muss eigentlich auch nicht sein. Doch wie geht es besser?
So viel zur Theorie – machen wir eine kleine Reise zu einem Kinofilm! Vielleicht haben Sie ihn schon gesehen? Wir sehen Ausschnitte aus dem Film Outsourced aus dem Jahr 2006. Der Film ist äußerst ertragreich, was die Beobachtung interkultureller Herausforderungen in Indien betrifft – auch geschäftlicher Art.
Durchaus möglich: deutsch-indische Erfolgsteams
Todd Anderson leitet ein Callcenter in Seattle. Eines Tages wird ihm eröffnet, dass das Callcenter aus Kostengründen nach Indien ausgelagert werden soll. Todd soll dorthin fliegen und die indischen Mitarbeitenden einlernen. Eine echte Herausforderung! Interkulturell ein absolutes Fiasko.
Denn abgesehen von der Hitze, dem ungewohnten Verkehr und dem dichten Gedränge versteht Todd auch die Verhaltensweisen seiner neuen Kolleg_innen nicht. Kein Wunder, denn er ist Hals über Kopf aufgebrochen, ohne sich sich auf entsprechende Führungs– und Handlungskompetenzen in Indien vorzubereiten.
Ich frage mich: Was gehört zu diesen Kompetenzen? Die Antwort der Workshoptage lautet: Verhandlungsführung, Kommunikation, klassische Situationen wie beispielsweise Meetings, Präsentation, Geschäftsessen und Messerepräsentanz, sowie ferner Konfliktmanagement, Führung und Team-Building. Und für alle „Problemzonen“ und „Stolperfallen“ gibt es passende und wirksame Lösungen.
Wir haben es schon selbst erlebt oder können es bei Todd in Outsourced wunderbar beobachten. Stress macht unproduktiv und unzufrieden. Er entsteht besonders dann, wenn wir das Bekannte und damit unsere Komfortzone verlassen müssen.
Durch die Reflexion bisheriger Erfahrungen und die Besprechung von möglichen Umgangs-Strategien kann man seine Komfortzone erweitern und somit Stress und Überforderung vermeiden.
So werden Stolpersteine zu stepping stones
Doch worauf beruhen die Herausforderungen im Arbeitsalltag? Während ich mir diese Frage stelle, wird die Folie über „präferierte Führungsstile“ angezeigt. Ich suche Indien in der Grafik, es befindet sich auf der linken Seite. Sie orientiert sich nach einem „patriarchalisch-autokratischen Stil“. Das heißt: Hierarchien sind wichtig, der Chef oder die Chefin ist letztlich für alles verantwortlich und leitet die Mitarbeitenden immer wieder konkret an.
Paternalistisch, das heißt autoritär und fürsorglich. Ich schaue weiter – wo befindet sich Deutschland? Ahh, auf der rechten Seite. Dort steht „individuell-partizipativer Stil“, das scheint mir ziemlich entgegengesetzt. Hier liegt eine „Stolperfalle“, denn das unterschiedliche Verständnis von Partizipation und Autonomie führt zu Missverständnissen.
Spielerisch interkulturell lernen
Wir machen ein Rollenspiel: zwei Gruppen bekommen unterschiedliche Aufgaben, die der jeweils anderen Gruppe nicht bekannt sind. In der Aufgabenbeschreibung steht, dass wir uns das erste Mal treffen.
Unsere Rolle ist wie folgt beschrieben: sehr direkt, wir möchten gleich über Geschäftliches sprechen, bleiben auf höflicher Distanz und schauen den Anderen direkt in die Augen. Na gut, denke ich mir, dann machen wir mal! Die anderen haben sich draußen vorbereitet und kommen jetzt rein. Ich will einer Kollegin der anderen Gruppe die Hand geben, aber sie nimmt sie nicht an – komisch, denke ich mir. Sie schaut mir auch nicht in die Augen. Ist sie schüchtern? Dann kommen von ihr Fragen zu meiner Familie und meinen Geschwistern – waren wir nicht hier, um unsere geschäftlichen Interessen zu klären?
Insgesamt kommen wir nicht wirklich voran und die Stimmung ist auch nicht so gut. Dabei spielen wir doch nur…
Schließlich kommen wir zur Aufklärung des Spiels und jetzt verstehe ich: die andere Gruppe hatte eine entgegengesetzte Agenda. Tja, das hatte ich mir zwar fast gedacht, aber dass es dann so komisch läuft, das konnte ich mir vorher wirklich nicht vorstellen.
Erleuchtung?!
Auch sie waren durch unser Verhalten irritiert. Wir besprechen, wie wir uns gefühlt haben und entdecken: trotz unserer Begrüßungs- und Verhandlungsunterschiede hatten wir die gleichen Bedürfnisse und auch Unsicherheiten: nämlich uns wohl und sicher zu fühlen, die Dinge voranzubringen und uns zu verständigen.
Das sind also Fremdheitserfahrungen. Uns hatten unterschiedliche Kommunikationsstile und Erwartungen irritiert – aber jene eben auch unser eigenes Verhalten bestimmt. Was für eine Erleuchtung ganz praktischer Art! Und so besprechen wir auch noch mögliche Umgangsstrategien.
Und wir? Der Blick in den Spiegel
Wir haben in den zwei Tagen auch mal die Perspektive gewechselt. Und uns gefragt: Was sollte man eigentlich über unsere hiesige Geschäftskultur wissen? Was können wir als Gastgebende beachten und wie eine einladende Atmosphäre für den Besuch aus Indien schaffen?
Hier erkenne ich immer mehr, wie eben auch meine Gewohnheiten und Erwartungen die indischen Gäste und Kolleg_innen irritieren können. Mein kulturelles Bewusstsein ist geschärft. Ich habe mit Hilfe des Trainings einen längeren Blick in den Spiegel geworfen und meine eigenen Werte und Eigenschaften reflektiert, die schließlich auch immer meinen Blick auf die Anderen begründen.
Interkulturell braucht eben immer beides: Den Blick auf mich selbst und die Menschen der anderen Kultur!
Dabei haben mich die verschiedensten Methoden des Trainings (wie ein interaktiver Vortrag, Storytelling, Fallbeispiele, Szenenspiel, Videoclips, Einzel- und Kleingruppenarbeit und die Diskussionen) interkulturell geschult. Und mit diesem Knowhow kann ich jetzt selbst die Lösung für kommende Herausforderungen sein. That´s my tiger spirit!
Mira Kessler, Doktorandin und Teilnehmerin am Train the Trainer-Format von Dr. Simone Rappel mit dem Titel „Tiger Biz“, interkulturelle Kompetenz für Indien.