Resilienz nach indischem Vorbild
Resilienz nach indischem Vorbild
„Gibt es denn keinen Neid“, fragen die Teilnehmer in meinen Trainings häufig. Macht es Indern nichts aus, dass die Kluft zwischen Arm und Reich so groß ist? Wollen sie nicht auch auf der Sonnenseite des Lebens sein? Haben die mehr Resilienz?
Natürlich gibt es Neid und Missgunst. Aber es gibt auch die feste Überzeugung, dass jeder – egal ob arm oder reich – seine Last zu tragen hat. Ohne aufzubegehren. Das Wissen gehört zur Resilienz dazu: Auch hinter den Kulissen der „Schönen und Reichen“ gibt es Leid.
Um diese Lebensphilosophie der Resilienz zu illustrieren, erzählt Virender Kapoor, einer der großen indischen Managementgurus, folgende Geschichte:
Warum gerade ich?
Ein Mann beklagte sich heftig bei Gott, warum er ihm so viel Leid schicke. Alle um ihn herum seien glücklich. Nur an ihm gehe das Glück vorbei.
Gott reagiert auf die Klagen. Jeden Tag musste er sie von vielen Menschen hören. So lud er alle Unglücklichen ein, sich bei einem Tempel zu versammeln.
Alle kamen und waren gespannt, was Gott ihnen zu bieten habe. Gott sagte ihnen, sie sollten ihren Sack voller Lasten, den sie mit sich brachten, unter einem Baum abstellen und ein wenig ausruhen.
Als das getan war, bat er den Mann, der am lautesten klagte, zum Baum zu gehen und sich irgendeinen Sack auszusuchen und mit nach Hause zu nehmen. Der Mann eilte los und griff nach seinem eigenen Sack. Denn die anderen waren noch größer als sein eigener.
Jeder, so die Geschichte, hat sein Päckchen zu tragen. Das ist die Herausforderung des Lebens, die alle zu meistern haben – egal ob reich oder arm.
Resilienz heißt dieser Interpretation nach, möglichst tiefenentspannt mit den Unwägbarkeiten des Lebens umzugehen, sich nicht so leicht aus der Bahn werfen zu lassen und die Fassung zu verlieren. Nichts bleibt für immer. Auch nicht das hässlichste Leid.
Zur Resilienz gehört: Den Blick auf das Positive richten
Diese Lebenseinstellung hält nicht davon ab, die Chancen, die sich bieten, schnell zu ergreifen. Denn der Blick soll stets auf das Positive gerichtet werden. Wer sich nur mit dem Negativen befasst, vergeudet seine Energien und verdirbt sich damit sein Leben. Er stellt sich gewissermaßen selbst das Bein. Resilienz hingegen lenkt den Blick auf das Positive, auch wenn das gerade sehr klein zu sein scheint.
Überraschung
Der Resilienz-Tipp aus Indien: Am Ende eines Tages soll man Bilanz ziehen und die guten wie die schlechten Erfahrungen des Tages auflisten. Meistens, so wird man überrascht feststellen, überwiegt das Positive.
Sie sind herzlich eingeladen, diese indische Lebensweisheit selbst einmal auszuprobieren!
Ich war erstaunt, wie dieser althergebrachte indische Tipp für mehr Resilienz durch die aktuellen Forschungen der „Positiven Psychologie“ bestätigt werden. Diese empfehlen nicht nur genau diese Übung zur Tagesbilanz, sondern betonen auch, dass wir selbst für unser Glück verantwortlich sind.
Glück geschieht uns nicht in erster Linie von außen. Wir können es vielmehr selber machen: zum Beispiel durch unsere Perspektive, mit der wir auf die Dinge um uns blicken.
Vielleicht steckt das hinter der optimistischen Haltung Ihrer Kolleginnen und Kollegen in Indien, die in allem Trubel noch irgendwie tiefenentspannt sind. Probieren Sie es doch auch einmal aus: zuerst einmal tief durchatmen und sich fragen, ob es die Sache wirklich wert ist, dass wir an die Decke gehen, und dann erst handeln.