Indien – das neue China?
Indien – das neue China?
Drache versus Tiger – Wer gewinnt den Wettstreit? China oder Indien? Dabei schien klar, dass China als „Werkbank der Welt“ eindeutiger Sieger im Bereich der industriellen Fertigung ist und Indien vor allem im Dienstleistungsbereich punktet.
„Make in India“
Die Wirtschaftsoffensive der Modi-Regierung verändert das Bild. Zumindest für einige Branchen ist Indien ein attraktiver Standort für die Fertigung. Indische Firmen, die in China produzieren ließen oder Komponenten von dort bezogen, bauen eigene Fabriken in Indien. Chinesische Firmen verlagern ihre Produktion nach Indien. Japanische Unternehmen lassen im großen Stil in Indien fertigen. Was ist geschehen?
Hohe Kosten in China und Devisenvorteil Indien
Chinas Löhne steigen. Entsprechend ziehen die Preise für chinesische Waren an.
„Wir hatten einige Jahre sehr stabile Preise und importierten Standventilatoren aus China. Das war für uns günstiger als sie selbst herzustellen“, sagt Sunil Sikka von Harvell. „Dann aber haben die Chinesen drei Jahre hintereinander die Preise um je 20% erhöht. Für uns war das nicht mehr hinzunehmen. Enough is enough! So entschieden wir uns, die Standventilatoren in Haridwar zu produzieren, wo wir unsere Deckenventilatoren herstellen. Nun machen wir sie 10% günstiger als die Importware aus China.“
Godrej verfolgt dieselbe Strategie und verlagert die Produktion von Waschmaschinen und Klimaanlagen nach Indien.
„Die Zeit dafür ist günstig, weil wir in Indien zu niedrigeren Kosten produzieren können.
Außerdem spielt uns die schwache Rupie in die Hände. Importe sind sehr teuer. Da rechnet es sich nicht, in China herstellen zu lassen. Je eher wir die Gunst der Stunde nutzen, desto besser. Das verschafft Indiens Industrie Standortvorteile“, betont Adi Godrej. Er glaubt, dass dieser Trend noch die nächsten zwanzig Jahre anhält.
Indische Unternehmen ziehen ihre Produktion aus China ab
Geschätzte 100 Millionen Arbeitsplätze wird China in den nächsten Jahren an andere Länder, die billiger produzieren, verlieren. Indien will ein großes Stück von diesem Kuchen bekommen. Besonders arbeitsintensive Branchen sind von diesem Trend betroffen. Für Textilien, Elektrogeräte und Spielzeuge sind die Arbeitskosten in China, vor allem in der Küstenregion, deutlich höher als in Indien.
Lohnkosten
Vinod Sharma, MD von Deki Electronics, einer Firma, die sich auf die Fertigung von Kondensatoren spezialisiert hat, gibt ein Beispiel:
„In Noida (= im Speckgürtel der Hauptstadt Delhi) verdient ein Arbeiter in der Fertigung netto etwa 7.000 Rupien. Für den Arbeitgeber schlägt das monatlich mit 8.000-10.000 Rupien zu Buche. Umgerechnet 100 bis 125 €. In China muss ich mehr als das Doppelte rechnen. Von günstigen Bedingungen kann da nicht mehr die Rede sein.“
Deki Electronics, 1984 gegründet, wollte 2004/05 in Indien expandieren und entschied sich dann doch für einen Standort in China. Weil indische Beamte, die für die Genehmigung zuständig waren, ungeniert Schmiergeld verlangten. „Das wollten wir nicht mitmachen und gingen nach Guangdong. Dort errichteten wir eine Fabrik, in der 1 Million Kondensatoren am Tag gefertigt werden können. Im vorletzten Jahr (= 2013) haben wir die Kapazität auf die Hälfte zurückgefahren und zugleich in Indien 100 neue Arbeitsplätze geschaffen. Wir stellen unsere Kondensatoren hier günstiger her.“
Effizienz
Bei der Fertigung von Smartphones hat nach wie vor China die Nase vorne. Der Kostenvorsprung liegt jedoch nur bei 2-3%. Micromax wollte sich nicht abhängig machen von China und baute in Rudrapur, Uttarakhand eine neue Fabrik, in der monatlich derzeit 100.000 Smartphones gefertigt werden. Die Kapazitätsgrenze liegt bei 600.000 Einheiten, was etwa 20% des derzeitigen Verkaufs beträgt. „Wir hoffen, dass wir in kurzer Zeit genauso effizient sind wie China. Zudem sparen wir die teure Einfuhr“, sagt Vikas Jain, der davon überzeugt ist, dass Indiens mehr als 850 Millionen Handybesitzer bald mehrheitlich auf die leistungsfähigen Smartphones umsteigen.
China lässt in Indien produzieren
Ja, Sie haben richtig gelesen. Es stimmt. Hier zwei Beispiele:
Pals Push, ein chinesisches Spielzeugunternehmen mit 10 Millionen US-$ Jahresumsatz, das unter anderem auch für Disney arbeitet, lässt vermehrt in Indien produzieren. In der Nähe von Chennai rattern 250 Nähmaschinen, in China die Hälfte. 400 Beschäftigte gibt es in der Produktionsstätte in Indien, 200 in China. Ende 2014 sollen in Indien 500-600 Nähmaschinen arbeiten.
„Für uns waren zwei Gründe maßgeblich, um uns in Indien anzusiedeln: Zum einen hat Indien eine große Binnennachfrage. Wir rechnen damit, dass sich unsere Spielsachen gut verkaufen. Zum anderen sparen wir ganz erheblich bei den Frachtkosten. Unsere Produkte werden hauptsächlich nach Europa und USA verschifft. Von Shanghai aus ist das fünf bis sieben Mal mehr als von Chennai aus. Insgesamt können wir mit 10-15% Kostenvorteil von Indien aus produzieren und an die Kunden weitergeben“, sagt Geschäftsführerin Seema Nehra.
Haier, der chinesische Elektogeräte-Gigant, produziert bereits Waschmaschinen und Klimaanlagen in Indien. 2014 soll die Produktion von Wasserkochern gestartet werden. Jährlich verkauft Haier davon 85.000 Stück in Indien. Bisher sind alle aus China importiert. Das soll sich ändern.
Großaufträge aus Japan
Elektrogerätehersteller Dixon produziert von Dehradun aus und hat Großaufträge von Panasonic und Toshiba bekommen. Die japanischen Labels reduzieren ihre Investitionen in China aufgrund politischer Differenzen mit dem Nachbarn. Außerdem stärkt das indisch-japanische Handelsabkommen die bilaterale Zusammenarbeit.
TV-Geräte, Flachbildschirme, DVD-Player, Waschmaschinen und andere Haushaltsgeräte verlassen in großen Stückzahlen die Fabrik. „Wir arbeiten auch für Godrej und den chinesischen Giganten Haier. Vor zwei Jahren produzierten wir 45.000 Fernseher und 10.000 Waschmaschinen pro Monat. Jetzt sind es 100.000 TV-Geräte und 25.000 Waschmaschinen. Außerdem sind wir effizienter als China. Wir machen 7.000 DVD-Player am Tag mit nur 45 Arbeitern. Das schafft China nicht“, betont Sunil Vachani.
Zukunftssicherung
Damit Indien ein rundum attraktiver Standort für die industrielle Fertigung wird und im großen Stil neue Jobs generieren kann, muss vor allem die Infrastruktur stimmen. Der Wahlkampf 2014 wurde von Nahrendra Modi (BJP) mit dem Versprechen des wirtschaftlichen Aufschwungs gewonnen. Nun ist es Zeit, die Versprechen einzulösen.
Worten müssen Taten folgen. Dr. Simone Rappel