Lese-Tipp: Tagebuch eines Dienstmädchens
Lese-Tipp: Tagebuch eines Dienstmädchens
Shano, Schulabbrecherin nach der siebten Klasse, naiv, aber nicht dumm – so die Selbstbeschreibung – , ist die Heldin des Buches. Hineingeboren in die Welt der Unterschicht vermag sie nicht an ihr Glück zu glauben. Wie soll denn eine von uns so eine Chance kriegen? So quält der Zweifel – genährt von Leuten ihres gleichen, die zur Vorsicht mahnen und mit ihren spitzen Bemerkungen ständig Öl ins Feuer gießen.
Stets zu Diensten
Wie ihre Mutter arbeitet Shano in den Häusern der Reichen: Putzen, den Abwasch erledigen und Kochen stehen auf dem Programm. Das Gemecker der Memsahibs auch. Kaum ist ihnen etwas recht zu machen. Dazu die lüsternen Blicke der Herren des Hauses. Alles mitzukriegen, was im Haus vor sich geht und doch nicht richtig dabei zu sein, weil das Gesetz von Herr und Knecht regiert und Trennung schafft.
Doch Shano hat Glück. Eine ihrer Arbeitgeberinnen – Mrs. Varma – merkt, dass Shano nicht dumm ist und schenkt ihr ein Heft samt Füller und Tinte. Schreib alles auf, sagt sie ihr. Shano schreibt. Abend für Abend.
Das Schreiben verändert sie. Ihr Leben bekommt Tiefgang und Perspektive. Es macht Spaß, auch wenn die Stromrechnung mehr wird, weil sie abends das Licht andreht. „Zeig es niemandem“, hat Mrs. Varma angewiesen. „Das ist nur für dich! Es geht niemanden etwas an.“
Banales kommt ebenso ins Heft wie Träume, zusammen fantasierte Geschichten ebenso wie Alltagssituationen. Bald ist das erste Heft voll und Mrs. Varna spendiert Nachschub. Shano schreibt und schreibt. Doch der Selbstzweifel packt sie. „Für was das alles? Was bringt es? Ich bin doch nur ein Dienstmädchen.“ Gerne würde sie ihre Geschichten teilen. Aber, das ist verboten. Das Tagebuch gehört nur ihr.
Immer schmerzlicher fühlt Shano die Zerrissenheit und lässt einen ihrer Arbeitgeber ihren Wunsch aussprechen: „Sie hätte in eine reiche Familie geboren werden sollen.“ Dienstmädchen schreiben nicht. Es wäre besser, wenn sie nicht einmal lesen können. Denn welchen Vorteil haben sie? Kaum eine ihrer Freundinnen, die in den Häusern der reichen Leute arbeiten, kann lesen. Nie erwähnt sie ihnen gegenüber, dass sie ein Tagebuch schreibt. Die Furcht vor ihrem Urteil hält sie zurück:
„Was fällt dir ein. Hältst dich wohl für was Besseres? Sind wir dir nicht mehr gut genug? Nur weil du in den Häusern der Reichen arbeitest, bist du noch lange nicht so wie sie …!“
Zerfurcht sind Shanos Geschichten mit diesen Urteilen. „Was werden die Leute wohl von so einer wie ihr denken?“ Argwohn, Skepsis, Mutlosigkeit torpedieren beständig ihre Gedankenwelt. „Nur weil du von richtigem Geschirr isst, aus einem Glas trinkst, am Tisch sitzt und bei deiner Arbeitgeberin im Wohnzimmer schläfst, weil sie dir ein paar Brocken Englisch beibringt und dich in ihrem Bad duschen lässt, bist du nicht wie sie. …“
Flüchtigkeit des Glücks
Und schon schwindet das Glück dahin, das Shano eigentlich mit ihren Arbeitgebern hat. Als Mrs. Varma sie zu ihrem Full-Time Hausmädchen mit Übernachtung bei sich zu Hause macht, wird ihr diese upgrading-Variante umgehend von ihren Kolleginnen madig gemacht wird: „Bild dir ja nichts ein! Brauchst nicht glauben, dass du was Besseres bist. Jetzt bist du völlig versklavt. Musst rund um die Uhr da sein“, tönt es ihr entgegen.
Oben und unten, Herr und Knecht, Memsahib und Hausmädchen – das ist die richtige Weltordnung. So gehört es sich. Ausnahmslos.
Shanos schöne heile Welt ist weder schön noch heil. Zweifel fressen an ihr. Das darf alles so nicht sein. So gut kann das Schicksal es gar nicht mit ihr gemeint haben. Und schon beginnt sich, das Blatt zu wenden. Shano ließt in der Zeitung, dass ein Dienstmädchen verhaftet wurde, nachdem man das Ehepaar, für das sie arbeitete, ausgeplündert und tot zu Hause gefunden hat.
Entrinnen können?
Das Dienstmädchen, wer sonst? Ist doch klar. Ist immer so. Die Polizei hat die Schuldigen. Die Zeitungen sind voll davon und die Hausangestellten kennen solche Geschichten tausendfach. Shanos Laune ist dahin. Ihre Arbeit misslingt. Mrs. Varma merkt, dass etwas nicht stimmt und spricht mit Shano. „Warum sollte es nicht das Dienstmädchen sein? Ist doch immer so …“. Diese Worte – Ein Volltreffer. Mitten ins Herz. Blattschuss.
Du bist, was du bist – für immer und ewig. Oder vielleicht doch nicht, wenigstens nicht so ganz?! Schicksal, Karma … was bestimmt unser Leben? Kann man dem entrinnen, was scheinbar feststeht?
Gibt es ein Verhalten jenseits der Norm, das Erfolg hat? Das geduldet wird? Diese Fragen durchziehen das Tagebuch und machen es spannend. Jenseits aller Geschichten aus dem Leben einer indischen Hausangestellten und ihrer Träume, die nicht wahr werden dürfen, erfahren wir über die Machtverhältnisse, die Abhängigkeiten, das Miteinander und doch Aneinander vorbei von Oben und Unten.
Absolut lesenswert für alle, die einen Einblick in die indische Gesellschaft und ihre Funktionsweise und Hintergründigkeit bekommen möchten, die sich immer schon fragten, wie das Verhältnis zwischen der gehobenen Mittelschicht und ihren Hausangestellten ist und nicht zuletzt für alle, die als Expats selbst von Hauspersonal verwöhnt werden.
Krishna Baldev Vaid, Tagebuch eines Dienstmädchens, Zürich 2014 (Erstausgabe Draupadi Verlag 2012). Übersetzt aus Hindi von Anna Petersdorf. Der Preis: 12,95 € ISBN 9 783293206472