Lese-Tipp: Der Alte und die Affen
Lese-Tipp: Der Alte und die Affen
Respekt vor dem Alter sei wichtig. In Indien herrsche das Prinzip der Seniorität. Ein Chef mit ergrauten Schläfen tue sich leichter, so lernen wir in interkulturellen Trainings und stellen uns darauf ein.
Die andere Seite der Medaille
Doch wie so meist: Es gibt die andere Seite der Medaille. Neben der Hochachtung der Alten, der Wertschätzung ihrer Erfahrung und Weisheit, gibt es ihre Verachtung. „Einer mehr, der satt werden will“, „einer mehr, der nicht arbeitet und einem nur auf der Tasche sitzt“. Kurzum: die Alten – eine Belastung.
Altsein in Indien ist nicht unbedingt ein Zuckerschlecken. Vielfach ist die Zeit vorbei, in der es selbstverständlich war, im Alter von seinen Kindern versorgt zu werden. Darauf können sich alte Menschen heute nicht mehr verlassen. Einsamkeit und Entfremdung machen ihnen zu schaffen, auch die Streitigkeiten der Kinder ums Erbe. Bangalore, die IT-Hochburg, sei die altenfeindlichste Stadt Indiens, ermittelte HelpAge. Hier werden alte Menschen am häufigsten beschimpft und emotional verletzt.
Also, wohin mit den Alten? Altersheime gibt es kaum und wenn, dann sind sie für viele nicht zu bezahlen. Rente haben die meisten nicht und das Ersparte ist schon für die Kinder und Enkelkinder ausgegeben.
Raus auf die Straße
Oma und Opa werden zum Betteln geschickt. Dann sind sie wenigstens noch zu etwas nützlich. Oder man sucht einen anderen Verwendungszweck: Opa soll die Affen vertreiben, die sich im Garten und auf der Terrasse breit gemacht haben und die ganze Nachbarschaft terrorisieren.
Wie das geht, verrät eine der Kurzgeschichten, die in diesem Band zusammengestellt sind. Manchmal ernst, manchmal amüsant, manchmal mit einem guten Schuss Selbstironie, in jedem Fall aber spannend sind die Gedichte und Erzählungen, die unseren Blick hinter die Fassaden Indiens lenken.
Ich hatte das Gefühl, den Menschen näher zu kommen und Indien ein klein wenig mehr zu verstehen. In den Figuren glaubte ich, den einen oder anderen aus meinem Bekannten- und Freundeskreis wiederzuerkennen mit seinen Geschichten.
„Aha, so ist das“, dachte ich. Denn ich hatte auch schon Geschichten gehört, dass sich die Hoffnung der Alten auf einen geruhsamen Lebensabend bei den Söhnen in Null Komma Nichts aufgelöst hat. Träume und Hoffnungen zerplatzt wie eine Seifenblase. Die Geschichten mischten sich in die Geschichten meines Alltags.
Und doch wieder die Frage: „Ist es wirklich so?“ „Kann es tatsächlich so sein?“ Alles nur Übertreibung, Empfindlichkeiten, die Klage über die Schwiegertochter, die es einem so gar nicht gut meint. Klar, Schwiegertochter, denn der eigene Sohn kann ja gar nicht so grausam sein. Hoppala, Indien wird mit all seinen Facetten sehr kontrastreich lebendig. Immer wieder überraschend.
Ein Buch, das in die Tiefe geht. 100% authentisch, ehrlich, schonungslos.
Absolut zu empfehlen für alle, die die vielen Gesichter Indiens kennen lernen möchten und interessiert sind, jenseits der Glitzerwelt des boomenden, jugendlich-dynamischen Indiens auch die unbequemen und oft verborgenen oder auch tabuisierten Wahrheiten zu erfahren.
H. Pandey, I. Prakash u.a. (Hg.), Der Alte und die Affen. Geschichten vom Altwerden im modernen Indien, Heidelberg 2012. Erschienen ist dieses Buch im Draupadi Verlag, der es sich zum Ziel gesetzt hat, uns lokalsprachige AutorInnen mit ihrem Wirken zugänglich zu manchen. Indu Prakash und Heidemarie Pandey haben die Geschichten für uns zusammengetragen und aus Hindi übersetzt. 189 sehr lesenswerte Seiten für 16,00 €.