Guter Job, schlechter Job
Guter Job, schlechter Job
Eigentlich arbeitet Ihr Team in Indien ganz zufriedenstellend. Sie haben ambitionierte und engagierte Spezialisten, die ihre Sache verstehen. Doch Sie stellen fest, dass es Jobs gibt, die niemand machen will. Ganz eklatant ist das bei der Dokumentation der einzelnen Prozessschritte. Wie Sie es auch anstellen, Sie finden keinen Freiwilligen für diese Aufgabe. Der Job muss erledigt werden. Sie haben keine zusätzlichen Ressourcen, um jemanden einzustellen. Die Teammitglieder müssen ran. Egal, ob guter Job oder schlechter Job.
Was ist passiert?
Niemand will diesen Job, weil er in den Augen der Teammitglieder als minderwertig angesehen wird. Jeder möchte ganz vorne mit dabei sein, wenn es um Innovation und Experimentieren geht. Diese Aufgaben sind kreativ und gelten als höherwertig. Mit ihnen möchten sich die Teammitglieder profilieren. Nach indischem Verständnis ist das ein guter Job.
Über etwas Protokoll zu führen, was gerade läuft, Fehlversuche zu beschreiben und Erfolgsschritte festzuhalten, ist in ihren Augen nichts, womit man Lorbeeren verdienen kann. Dokumentation ist für sie ein unwichtig und minderwertig. Das heißt: alles andere als ein guter Job. Alle drücken sich, denn niemand möchte das letzte Glied in der Kette sein.
Warum ist das so?
Indien ist eine sehr stark statusbetonte Gesellschaft mit ausgeprägter Hierarchie. Es gibt ein Oben und ein Unten, wobei ganz klar ist, dass Oben besser und Unten schlechter ist. So funktioniert die indische Weltordnung. Obwohl verboten existiert das Kastendenken in den Köpfen der Menschen weiter und bestimmt ihr Handeln.
Jeder hat seinen festgelegten Platz. Oben die Brahmanen und unten die Dalits, die Kastenlosen, die Unberührbaren, die traditionell von Hand die Latrinen zu reinigen hatten. Religiös wird diese Kluft zwischen Oben und Unten dadurch begründet, dass man denen, die an der Spitze der Hierarchie stehen, zubilligt, in ihrem vorigen Leben gute Taten vollbracht zu haben. Wer viel positives Karma angesammelt hat, darf sich jetzt an einem guten Lebens erfreuen. Wer heute unten steht, hat in seinen früheren Leben schlecht gehandelt. So einfach ist das. Das Heute ist der Lohn oder die Bestrafung für das gestern! Ein guter Job ist der Lohn für ein gutes früheres Leben. Ganz einfach.
Für Business Culture Indien heißt das: Im Büro drückt sich diese Weltsicht in festen Arbeitszuschreibungen aus. So ist es für eine Sekretärin beleidigend, ihr abzuverlangen, Kaffee oder Tee zu kochen und Gästen zu servieren. Das ist nicht ihr Job. Für so niedrige Aufgaben gibt es schließlich den office-boy oder chai-wala.
Heute sind viele Firmen in Indien dazu übergegangen, dass ausnahmslos alle Kolleginnen und Kollegen ihre Tabletts in der Kantine selbst abräumen müssen. Dies heißt jedoch nicht, dass die Männer zuhause auch ihr Geschirr in die Küche zum Spülen bringen. Denn Tischabräumen ist Frauensache.
Was können Sie tun?
Innerhalb Ihres Teams haben Sie die Chance, zu demonstrieren, dass alle Jobs gleich wichtig sind. Betonen Sie, dass Sie nur als Team gemeinsam stark sind. Für den Erfolg der Arbeit ist die Dokumentation genau so wichtig wie beispielsweise das Durchführen von Testreihen.
Sie müssen durch Wort und Tat überzeugen und dürfen keine Tätigkeit als höher- oder minderwertig qualifizieren. Um ein Zeichen zu setzen, könnten Sie beispielsweise für die so ungeliebte Dokumentationsaufgabe ein Rotationssystem einführen und darauf achten, dass wirklich jeder dran kommt. Mit Entschiedenheit und Fingerspitzengefühl müssen Sie in diesem Punkt vorgehen. Auch das ist interkultureller Kompetenz Indien. Ein interkulturelles Training vermittelt Ihnen, wie das gut gelingt.
Packen Sie es an! Gutes gelingen wünscht Dr. Simone Rappel.