Einzelkämpfer mit Profilierungssucht
Einzelkämpfer mit Profilierungssucht
Etwas Wettbewerb schadet nicht, so denken Sie und spornen Ihr indisches Team zu Bestleistungen an. Doch der Schuss geht nach hinten los. Sie stellen bald fest, dass sich einzelne auf Kosten der anderen profilieren. Die Teamperformance leidet und Ihr Projekt gerät ins Stocken. Wissen wird nicht mehr geteilt, Informationen nicht weitergegeben. Eifersüchtig hüten einige ihr Herrschaftswissen, während sich die anderen ausgegrenzt und hintergangen fühlen. Solche Beispiele höre ich oft in Trainings. Einzelkämpfer mit Profilierungssucht haben zugeschlagen.
Was ist passiert?
Einige haben Ihren Aufruf zu Bestleistungen missverstanden. „Einer gegen alle“ statt gemeinsam besser werden, ist die Botschaft, die bei ihnen ankam. Da in Indien ein harter Wettbewerb herrscht, bei dem ganz selbstverständlich auch die Ellenbogen ausgefahren werden und mit harten Bandagen gekämpft wird, war Ihr Appell nichts Ungewöhnliches für die Kollegen. Kurzerhand stellten sie ihre Taktik um.
Warum ist das so?
1,2 Milliarden Menschen. Alle wollen weiterkommen. Jeder ist sich selbst der Nächste. Einzelkämpfer machen das Rennen. Oft. In Indien herrscht ein starker Wettbewerb. Schon Mitschüler sind Konkurrenten. Im College und an der Uni wird Tag und Nacht gebüffelt, um Bestnoten zu erreichen und sich so gute Startbedingungen für einträgliche Jobs zu sichern.
Vielleicht erinnern Sie sich, dass Sie schon einmal gesehen haben, wie Tageszeitungen kurz nach Ende der Prüfungssaison die besten Absolventen mit Foto, Namen und Notenschnitt an prominenter Stelle veröffentlichen. Das spornt an. Auf diesen Seiten wollen die Eltern ihre Kinder sehen. Leistung zählt. Egal was die anderen davon halten. Selber will man bestmöglich vorankommen. Da nimmt man gerne in Kauf, dass der Weg an die Spitze einsam ist.
In diesem Zusammenhang fällt mir eine Geschichte ein, die ich einmal erzählt bekam.
Indische Krabben werden in alle Welt exportiert. Auffallend dabei ist, dass die Kühlboxen, in denen sie lebend transportiert werden, nicht verschlossen sind. Die indischen Meerestiere hegen keine Fluchtgedanken. „Vielmehr“, so erklärt der Händler, „bewegen sich alle Krabben nach oben, sobald eine angefangen hat, sich Richtung Freiheit zu bewegen. Weil alle das gleiche Ziel haben und nach oben drängen, behindern sie sich gegenseitig und bleiben auf der Strecke.
Keine lässt die andere hoch kommen. Weil jede die erste sein will, schafft es keine in die Freiheit.“ Traurig. Kollektiver Egoismus verhindert den Erfolg.
Was können Sie tun?
Fördern Sie ganz gezielt gemeinsame Aktivitäten im Team. Weisen Sie deutlich darauf hin, dass Einzelkämpfer mit rigorosem Egoismus hier nicht weiterkommen. Machen Sie bewusst, dass Wissen, das geteilt wird, wächst. Davon können letztlich alle profitieren. So funktioniert zum Beispiel wikipedia, die größte Enzyklopädie. Dieser Datenpool lebt davon, dass viele ihr know how zur Verfügung stellen und miteinander vorhandenes Wissen vermehren.
Tipps für die Praxis
Führen Sie ganz gezielt ein Screening all der Maßnahmen durch, die in Ihrer Unternehmensphilosophie dazu gedacht sind, Mitarbeiter zu motivieren und zu binden. Prüfen Sie, ob eher der Einzelne davon profitiert oder ob alle im Team einen Nutzen haben, wenn sie sich gemeinschaftlich anstrengen. Sie könnten zum Beispiel, wenn die Teamleistung außergewöhnlich gut war oder ein Meilenstein im Projekt erreicht wurde, gemeinsam ins Kino gehen oder einen Ausflug unternehmen. Solche Unternehmungen fördern den Teamspirit und bieten die Chance, sich einmal in einer etwas ungezwungeneren Atmosphäre näher kennenzulernen.
Bedenken Sie vor diesem Hintergrund auch, ob die vielfach übliche Suche nach dem „Mitarbeiter des Monats“ wirklich zielführend ist. Wenn dies zur Kultur Ihres Unternehmens auch in Indien gehört, dann achten Sie darauf, nur diejenigen vorzuschlagen, die durch ihren Einsatz das Team als Ganzes voran bringen, indem sie beispielsweise schwächere Kollegen mit ihrer Expertise unterstützen.
Wenn Sie nur die Einzelkämpfer fördern, dann haben Sie letztlich den gleichen Effekt wie bei den Krabben aus der gerade erzählten Geschichte: Gegenseitige Blockade. Das Ziel verfehlt. Bedenken Sie, dass es von Ihrer Führung abhängt, wie es um die Teamkultur bestellt ist.
Für eine gute und gelingende Führungs- und Unternehmenskultur: Dr. Simone Rappel