Netzwerken in der Eisdiele
Netzwerken in der Eisdiele
Seit einiger Zeit ist es in Indien hipp, in die Eisdiele zu gehen. Abends ist die beste Zeit dafür. Wer immer es sich leisten kann, gönnt sich eine Kugel. Die Preise sind gehoben: umgerechnet mindestens 80 Cent. Und ganz nebenbei widmet man sich seinem Netzwerk. Denn man trifft dort Gleichgesinnte der selben Einkommensklasse. Und Netzwerken in Indien geht immer. Man nutzt jede Chance.
Eis und Religion – Marktanpassung in Indien
Erstaunlich die Unterschiede: Es gibt verschiedene Preisklassen. Von 80 Cent bis 1 Euro. Ich kann nur raten, was den Unterschied ausmacht. Die Größe der Kugel ist es nicht. Vielleicht die Zutaten. Alles Eis ist ohne Eier gemacht. Ich frage nach. „Pure veg!“, kriege ich als Antwort. Keine Ahnung, wie das geht: Ohne Eier, ohne Milch … Egal. Selbst für strenge Hindus genießbar.
Gierig wie ich bin, bestelle ich mir zwei Kugeln: Mango und After-Eight. Sorten der gehobenen Preisklasse. Ich will sie im Becher und bin verwundert, als ich jede Kugel in einem extra Pappbehälter bekomme. Zwei Kugeln, zwei Becher, zwei Plastiklöffel.
Das Eis schmeckt fantastisch. Meine indischen Freunde waren weniger gierig oder wollten mich einfach nicht sehr schröpfen. Jeder nur eine Kugel – das Kaffee-Eis sei ein Gedicht – auf einer großen Waffel. Während der Becher nichts kostet, kostet die Waffel 10 Rupien. Ist okay, kann man schließlich essen.
Freebies – Marketing, das überzeugt
Jeder Gast kann gratis eine Sorte ausprobieren. Das machen wir gerne. Man weiß dann schon, was man das nächste Mal haben möchte. Ich probiere das viel gerühmte Kaffee-Eis. Lecker, aber meine Wahl war besser für mich. Wir genießen unser Eis und haben es uns an einem stylishen Metall-Tisch, den die Fingerabdrücke früherer Gäste zieren, mit Kunstlederstühlen bequem gemacht.
Na so etwas: Zufällig ein Kollege aus dem Krankenhaus, hier die Frau eines Geschäftsmanns mit ihren Enkelkindern, dort der Anwalt mit Frau und seinen kids. Schnell ein paar Worte gewechselt. Man kennt sich, bleibt unter sich und pflegt seine Bekanntschaften. Die beste Grundlage in Indien für das Geschäft. Small talk ist angesagt und ganz klar: „Dürfen wir euch unsere Bekannte aus Deutschland vorstellen.“ Schon ist das Eis gebrochen. Netzwerken geht überall. Aus dem interkulturellen Training Indien wissen Sie längst, wie wichtig das ist.
Und ich habe gleich ein tolles Gesprächsthema. Denn es gibt ein Schokoladeneis, das „Bavarian Chocolate“ heißt. Billige Sorte, warum auch immer. Ich sage, dass ich aus München komme, der Hauptstadt von Bavaria. Wer weiß, vielleicht kommt das nächste Mal „Bavarian Chocolate“ auf den Probierlöffel und man erinnert sich an mich.
Ihre Dr. Simone Rappel